Der 1. Mai 2011 war ein besonderer Tag für Heilbronn, aber vor allem für alle Antifaschist*innen, die sich an diesem Tag den Nazis in den Weg stellten. 830 Nazis konnten an diesem Tag durch die Stadt laufen, geschützt von einem massiven Polizeiaufgebot. Dabei spielten viele Faktoren eine Rolle, einer der Hauptfaktoren waren die Stadtverwaltung und Polizei.
Was passiert eigentlich, wenn die Polizei anfängt Politik zu machen?
Für uns heute unvorstellbar, wurde damals unser Pressesprecher bereits um 7.50 Uhr vom Heilbronner Polizeipräsident persönlich in Gewahrsam genommen und für 12,5 Stunden festgehalten. Damit stellte die Polizei sicher, dass keine unliebsame Berichterstattung über das Vorgehen stattfinden konnte und sie an diesem Tag die Deutungshoheit behielt. Die Begründung lautete „Aufruf zu Straftaten“, da er in den Medien zu friedlichen Blockaden aufgerufen hatte. Die Ermittlungsverfahren gegen ihn und die damalige Sprecherin wurden beide im Nachhinein von der Staatsanwaltschaft Heilbronn eingestellt, für den Tag selbst hatte die Polizei ihr Ziel dennoch erreicht.
Bereits im Vorfeld hatte die Polizei eine massive Kampagne gestartet, wo sie Gewalt und Sitzblockaden in ein Topf warf und unser Bündnis zu kriminalisieren versuchte. Diese Bemühungen gingen soweit, dass die Heilbronner Stimme kurz vor dem 1. Mai nicht mehr über uns berichtete, Unterstützer*innen unter Druck gesetzt worden sich von uns zu distanzieren und eben ein Ermittlungsverfahren gegen unsere Pressesprecher*innen eingeleitet wurde. Unser Bündnis sollte politisch isoliert werden, um am Tag selbst härter durchgreifen zu können.
Wie das Polizeiaufgebot am Tag selbst aussah und welche Rolle der jetzige Oberbürgemeister der Stadt Heilbronn, Harry Mergel, spielte, lässt sich am besten im damaligen Nachbereitungstext nachlesen:
„Insgesamt war die Polizei am 1. Mai mit 3000 Beamten aus Baden- Württemberg und Rheinland- Pfalz präsent, hinzu kamen 900 Beamte der Bundespolizei. Außerdem waren 22 Polizeireiter, 19 Hundeführer, 3 Polizeihubschrauber und Polizeiboote auf dem Neckar im Einsatz, Wasserwerfer standen bereit.
Das Aufmarschgebiet der Nazis wurde großflächig mit Hamburger Gittern abgesperrt, teilweise verdeckten große Sichtschutzwände den Blick auf die Faschisten.
Dieses Polizeiaufgebot war enorm, es entstanden dadurch Kosten in Höhe von mehr als 2 Millionen Euro. Zum Vergleich: Beim zeitgleich statt findenden und etwa gleich großen Naziaufmarsch in Halle waren gerade einmal 1000 Polizeibeamte im Einsatz. Im Februar waren in Dresden bei rund 20 000 antifaschistischen DemonstrantInnen und mehreren Tausend Nazis 4500 Polizisten eingesetzt.
Das Ziel des massiven Polizeieinsatzes in Heilbronn war es eindeutig, den Naziaufmarsch ungestört laufen zu lassen und jeglichen Protest in Sicht- und Hörweite zu unterbinden. Dass damit auch antifaschistische Strukturen geschwächt und junge engagierte NazigegnerInnen eingeschüchtert werden sollten, liegt nahe.
Jedenfalls ging es nicht darum, „größere Sachbeschädigungen und Ausschreitungen in der Heilbronner Innenstadt“ zu verhindern, wie es der Heilbronner Polizeichef Roland Eisele in einer Presseerklärung vom 1. Mai (19.15 Uhr) schreibt.
Unser Aktionskonsens des gewaltfreien Widerstandes wurde von uns immer wieder betont und auch am 1. Mai von allen AktivistInnen eingehalten – und zwar trotz des paramilitärischen Auftretens der Polizei, trotz stundenlanger Ingewahrsamnahmen, Einkesselungen und Provokationen.
Um es noch einmal klar zu sagen: Wir sehen einen Hauptgrund für das Scheitern unseres Konzeptes im selbst für baden- württembergische Verhältnisse gigantischen Polizeieinsatz.
Stadt hofiert Nazis
Das polizeiliche Durchsetzen des Naziaufmarsches ist letztlich auf Entscheidungen der Stadt Heilbronn zurückzuführen.
Die Stadt war Bündnispartnerin im Bündnis „Heilbronn sagt nein“, das die symbolische Gegendemonstration und das Fest in der Innenstadt weit weg von den Nazis organisierte und das ausdrücklich nicht zu Blockaden aufrief.
Im Gegensatz zu vielen Gruppen aus diesem Bündnis, die aber trotzdem ein solidarisches Verhältnis zu unserem Blockadebündnis hatten oder sogar in beiden Bündnissen arbeiteten, hat die Stadt von Anfang an versucht, jeden Protest in der Bahnhofsvorstadt zu kriminalisieren.
Mehrmals versuchten VertreterInnen der Stadt, auf Bündnistreffen von „Heilbronn sagt nein“ friedliche Blockaden als Straftat zu diffamieren und dort Stimmung gegen uns zu machen.
Alle in der Bahnhofsgegend angemeldeten Kundgebungen gegen den Naziaufmarsch wurden von der Stadt Heilbronn verboten. Zur Begründung hieß es vom Ordnungsamt, die Versammlungen würden nicht in das „Sicherheitskonzept von Polizei und Stadtverwaltung“ passen. Den AnmelderInnen wurde gleichzeitig nahe gelegt, sich doch an der Veranstaltung des DGB auf der anderen Neckarseite zu beteiligen.
Doch auch eine antifaschistische Kundgebung auf der vermeintlich „richtigen“ Neckarseite wurde verboten, da sie sich in der Nähe des Arbeitsamtes befand. Grund: Die Nazis marschierten bekanntlich vom Hauptbahnhof zum Arbeitsamt und sollten dabei nicht den Unmut von engagierten BürgerInnen ertragen müssen.
Schließlich erließ die Stadt Heilbronn dann eine „Allgemeinverfügung über ein Betretungs- und Versammlungsverbot im Bereich des Hauptbahnhofes und Teilen der Bahnhofsvorstadt“. Dieses Vorgehen kritisierte der am 1. Mai anwesende Bundestagsabgeordnete Richard Pitterle völlig zu Recht, in dem er dem verantwortlichen Ordnungsbürgermeister Harry Mergel vorwarf, „zugunsten des NPD- Aufmarsches Teile der Stadt zu einer demokratiefreien Zone gemacht“ zu haben.
Diese Allgemeinverfügung der Stadt war die Vorbereitung für die massenhaften Ingewahrsamnahmen, die Einkesselungen und das rabiate Vorgehen vermummter BFE- Einheiten gegen friedliche GegendemonstrantInnen am 1. Mai.
Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass die Polizei auch nach den skandalösen Maßnahmen gegen NazigegnerInnen am 1. Mai volle Rückendeckung von der Stadt bekommt. Der Heilbronner Oberbürgermeister Helmut Himmelsbach wird in der „Heilbronner Stimme“ vom 3. Mai zitiert:
„Ein großer Dank geht zunächst an die Angehörigen von Landes- und Bundespolizei, die es mit professionellem Vorgehen und unter hohem Einsatz geschafft haben, Rechtsextreme und linke Gegendemonstranten auseinanderzuhalten. So konnten eskalierende Konflikte vermieden werden, auf keiner Seite gab es Verletzte, unsere Stadt wurde nicht zum Ort blutiger Auseinandersetzungen wie Dresden.“
In der selben Dankesrede betont Himmelsbach den „reibungslosen Ablauf“, die „intensive Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und Polizei- von der Festlegung der Demorouten bis zur Abwicklung von Platzverweisen“ und zu guter letzt auch die „Medien, die sich zum größten Teil vor Ort und in den Berichten fair und verantwortungsvoll verhalten haben“.
Für die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung scheint also der Plan am 1. Mai aufgegangen zu sein und wir müssen zur Kenntnis nehmen:
Während am selben Tag in Greifswald die Stadt Sitzblockaden als wichtige Ergänzung zum symbolischen Protest lobte und in Halle das offizielle „Bündnis gegen Rechts“ die Nazis gleich selbst blockierte, sieht es die Stadt Heilbronn als ihre Aufgabe an, Großaufmärsche von Nazis durchzusetzen.“
10 Jahre später haben wir uns als Bündnis weiterentwickelt und verändert. Der 1. Mai 2011 ist der Grund unserer Gründung und prägt unseren Blick auf die politische Arbeit bis heute. Manche Dinge würden wir heute anders machen, manche wiederholen. Wichtig ist jedoch, die Arbeit gegen Rassismus und Faschismus bleibt extrem wichtig und wir freuen uns diese in den kommenden Jahren mit so vielen Menschen wie möglich fortzuführen!